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In der Werkstatt innerer Klangwelten

Wolfgang Spitzer im Gespräch mit Peter Branner

Zuletzt wiesen wir auf die neue CD von Wolfgang Spitzer, der seit 29 Jahren im Mozarteumorcheser tätig ist, hin. Die Bemerkung, dass die neue CD im „Multitrack-Verfahren mit virtuellem Orchester“ aufgenommen wurde, macht neugierig, veranlasst zur Nachfrage und bewirkt eine Einladung.

Der Besucher wird vom großgewachsenen, sehr schlanken und sympathischen Musiker freundlich empfangen und erfährt Erstaunliches.

Sehr bald, nachdem Wolfgang Spitzer seinen Beruf ergreift, beginnen ihn starke Rückenschmerzen zu plagen. Auf der Suche nach Linderung entdeckt er Yoga. Die Körperübungen helfen ihm. In weiterer Folge beginnt er zu meditieren. Die Erfahrungen, die er dabei macht, sind so stark, so intensiv, dass sie sein Leben verändern. Er reduziert seine Tätigkeit im Orchester und verbringt Teile des Jahres in New York, um ein Schüler des weltberühmten Sri Chinmoy (1931 – 2007) zu werden. Dieser ist ein spiritueller Lehrer und wirkt als Schriftsteller, Dichter, Komponist, Musiker, Künstler und Sportler, um das in der Meditation Erfahrene zu vermitteln. Er hat über 21.000 Lieder verfasst. Bei meditativen Konzerten spielt Chinmoy auf 15 – 20 Instrumenten.

Diese Melodien sind der Quellpunkt für Wolfgang Spitzers Kompositionsarbeit. Der noch uninformierte Musikliebhaber zuckt zusammen, wenn er den Begriff „Computermusik“ hört. Die Überraschung ist groß, wenn Wolfgang Spitzer im kleinen Studio seine Arbeitsweise demonstriert.

Das Computerbild ist aufgebaut wie bei einer normalen Orchesterpartitur. Die einzelnen Gruppen der Instrumente werden von oben nach unten angeordnet. Die Unterseite zeigt ein virtuelles Mischpult, das heutzutage die großen Mischpulte der Studios ersetzen kann. Auf einer Art Keyboard können die einzelnen Stimmen intuitiv gespielt werden, wobei eine Regelung mit der linken Hand dynamische Veränderungen ermöglicht.

Die geäußerte Befürchtung vom sterilen „Plastikklang“ wird sofort entkräftet, denn Wolfgang Spitzer verfügt über ein sehr kostspieliges Musikprogramm. Damit hat er Zugriff auf Millionen von Tönen oder Samples, die er einer Tonbibliothek entnehmen kann. Sie wurden ursprünglich von Musikern und Musikerinnen original eingespielt, weshalb es sich um einen „Bio-Sound“, also „menschlichen“ Klang handelt, der in einer agoischen Pulsvariabilität eingesetzt werden kann, wie sie beim natürlichen Spiel auftritt. Ein rein vom Computer erzeugter Klang kennt diese Variabilität nicht. Der Klang hat einen starren Puls, ist quasi ein Klon, weshalb diese seelenlose Künstlichkeit entsteht.

Die Beherrschung der komplexen Software ist Voraussetzung. Dann aber gibt es fast keine Grenzen. Ob dem Anwender im Kopf exotische Perkussionsinstrumente oder ein großes Orchester samt Chor vorschweben, realisierbar ist so gut wie alles. Und Änderungen, sei es bei Instrumentierung, Tempo, Länge oder Tonart, können rasch umgesetzt werden.

Dem Komponisten und Arrangeur Wolfgang Spitzer ist es wichtig, seine Erlebnisse und Erfahrungen aus den eigenen Meditationen mit den einfachen Melodien von Sri Chinmoy zu verbinden. Sie werden damit zum Widerhall innerer Klangwelten. Von ihm in einen großen Orchesterapparat getaucht, ergibt das mächtige Tongemälde mit originellen Einfällen, die teilweise auch vom Jazz inspiriert sind.

Im vergangenen Jahrhundert hätte Wolfgang Spitzer seine Visionen zuerst zu Papier bringen, die einzelnen Stimmen ausarbeiten, kopieren oder drucken müssen und dann warten, ob sich vielleicht ein finanzkräftiger Produzent findet, der einen Saal mietet und ein großes Orchester für Proben und Aufführung bucht. Womöglich wäre es eine Arbeit für die Schublade geworden.

Wo gibt es diese Alchemistenküche der Musik?

Neben anderen Firmen stellt die Vienna Symphonic Library seit vielen Jahren Möglichkeiten virtueller Musik bereit. Auf ihrer Homepage finden sich auch Beispiele klassischer Musik, die auf diese Weise entstanden sind.

Wahrscheinlich sind wir diesbezüglich noch zu wenig „hell-hörig“, im Film und Fernsehen hat dieses Verfahren jedoch längst Einzug gehalten.

War es vor mehr als 100 Jahren der Welte-Mignon-Flügel, der für uns Heutige das Spiel damaliger berühmter Komponisten aufbewahrt, so ist es jetzt ein ausgeklügeltes und so gut wie perfektes System, das Wolfgang Spitzers innere Vorstellungen in einer Weise darstellt, die von einem originalen Orchester kaum mehr zu unterscheiden sind.

Stand:

2016